Noch ist etwas Zeit / Gustav Schörghofer (Welt der Frau), 2011 [de]

Angesichts der Arbeiten von Arnold Reinthaler kann es einem schon recht ungemütlich werden. Über Jahre hat der Künstler Protokolle des eigenen Tagesablaufs erstellt, wann geschlafen wurde, wann Kunst entstand, wann gegessen und geredet wurde usw. Das schaut so aus, als würde sich jemand dem Kontrollapparat eines totalitären Staates unterwerfen, freiwillig oder aus einem inneren Zwang heraus. Arnold Reinthaler aber hat den Kontrollapparat selbst geschaffen. Ist er der peinlich genaue Verwaltungsbeamte des eigenen Lebens?

Doch Arnold Reinthaler hat nichts von einer Gestalt aus einem Roman von Franz Kafka. Er widmet sich in seiner Kunst der Darstellung von Zeit. Das gleichförmige Ablaufen der Sekunden, Stunden und Tage verwandelt er in seiner Kunst in die Gestalt einer individuellen Lebenszeit. Der Künstler macht durch sein Tun das, was wie ein zusammenhangloses Nebeneinander von Augenblicken erscheinen kann, als eine Gestalt, etwas Zusammenhängendes wahrnehmbar. Er ist es, der Zusammenhänge sichtbar macht, der Wiederkehrendes erkennbar werden lässt, der einen Rhythmus, eine Ordnung im Zufälligen entstehen lässt. Die Werke zeigen, dass hier Sinnvolles geschehen ist.

So können auch jene schwarzen Steintafeln betrachtet werden, auf die Wörter oder kurze Sätze geschrieben sind. Sie erinnern an Grabtafeln. Doch verweist die Inschrift nicht auf Gewesenes, auf Verstorbene. Der Hinweis gilt Gegenwärtigem oder Zukünftigem. Es sind banal erscheinende Texte wie „Morgen ist alles gut“ oder „Liebling, wie lange noch?“, die in Stein gemeißelt eine sonderbare Eindringlichkeit erlangen. Ewigkeitsbotschaften. Für wen? Von wem? Was macht ein Betrachter, wenn er in schwarzen Granit gehauen FIVE MINUTES LEFT liest? Fühlen er oder sie sich in ihr letztes Stündchen versetzt? Gehen sie in sich oder erst recht aus sich heraus? Leben er oder sie so, dass Gelebtes im Rückblick eine Gestalt erkennen lässt? Die letzten drei Buchstaben der Botschaft sind erst geritzt, noch nicht ganz in Stein gemeißelt. Noch ist das Werk nicht getan, noch ist es unfertig, noch bleibt etwas offen.

Angesichts eines Endes kann sich im Nebeneinander der Stunden und Tage und Jahre eines Lebens doch ein Sinn zeigen. Lohnt es sich nicht, auf diese Möglichkeit hie und da einen Gedanken zu verschwenden? Dann hat die Arbeit von Arnold Reinthaler ganz und gar nichts Ungemütliches mehr.