Einführung zur Arbeit von Arnold Reinthaler / Silvia Eiblmayr (Vortrag: Sprachspiel Biennale West. 452 Jahre Wiener Gruppe), 2020 [de]

Arnold Reinthaler stellt uns mit „Morgen um diese Zeit“ zunächst vor ein ziemlich hermetisches Objekt, ein schwarz lackiertes Regal, das exakt mit 560 identischen, schwarz gebundenen Büchern gefüllt ist. Dazu gibt es einige Parameter: Höhe und Breite des Regals entsprechen dem Körpermodulor des Künstlers, der sich nach dem Vitruv’schen Vorbild das Maß nehmen ließ – Sie kennen Leonardos berühmte Version, zum Beispiel auf der italienischen 1-euro Münze. Die Rastereinteilung der Regalfächer wiederum richtet sich dann nach dem Format, der Stärke und der daraus errechneten Anzahl der Bücher. Dieses schwarze Buch mit demselben Titel enthält seinerseits nicht weniger strikte Vorgaben: Auf 365 Seiten gibt es knappe Angaben zum jeweiligen Tagesverlauf bzw. den Tätigkeiten des Künstlers, für jeden Tag des Jahres folglich eine Seite. Für Reinthaler sind dies „Regieanweisungen für ein Leben als Künstler“, die von Schauspieler_innen oder anderen aufgenommen und nachgespielt werden können. Ob diese im prosaischen Duktus einer abgehakten to-do-Liste festgehaltenen Tagesabläufe, die ganz konkret auf das Jahr 2014 hinweisen, so stattgefunden haben oder erfunden sind, wissen wir nicht.

Elfriede Gerstl zitiert Konrad Bayer, wie er „in wenigen einprägsamen und amüsanten Sätzen die Position des Solipsismus beschreibt“: BAYER: „seit ich weiß, dass alles meine erfindung ist, vermeide ich es mit meinen freunden zu sprechen. es wäre albern. allerdings hüte ich mich, ihnen zu sagen, dass ich sie erfunden habe, weil sie schrecklich eingebildet sind und glauben, dass sie mich erfunden haben. es würde ihre eitelkeit verletzen“(1)

Arnold Reinthaler muss sich, seinem Konzept folgend, nacherfinden lassen. Er muss sich in „Morgen um diese Zeit“, das in seiner protokollarischen Nüchternheit gleichsam die Kontraindikation zu H.C. Artmanns „das suchen nach dem gestrigen tag oder schnee auf einem heißen brotwecken. eintragungen eines bizarren liebhabers“ darstellt, – Reinthaler muss sich also auf die ZUKUNFT verlassen und auf die Fantasie seiner Protagonist_innen. Nicht unwichtig wird dabei auch sein, und ich erlaube mir diese Bemerkung, ob es die zahlreichen Lokale, die er vor sechs Jahr besucht hat, nach Corona noch geben wird. Wir wollen es alle hoffen.

1 Elfriede Gerstl, „Über Bayers Zweifel an der Kommunikationsfähigkeit der Sprache in einem engeren privaten Sinn und inwiefern er verstanden oder mißverstanden wurde“; in: Gerhard Rühm, Hg., Konrad Bayer Symposion Wien 1979, edition neue texte, Linz 1981, S. 43.

    

Morgen um diese Zeit

2020, Installation, schwarz lackiertes Regal, 177 x 235 x 24 cm, 560 Bücher